Abenteuer Fegentri-WM

Auffallend ist, dass Naomi Heller – hier mit Stall ForzAgriculas Fleur d’Ipanema – auf dem Pferd fast immer ein Lächeln im Gesicht hat. Das zeigt wohl, dass sie immer mit ganzem Herzen bei der Sache ist. – Foto: turffotos.ch

Naomi Heller hat die Amateur-Rennreiterlizenz bereits 2006 absolviert und damals auch ein gutes Dutzend Rennen bestritten und zwei davon gewonnen. Danach folgte aber eine längere Pause, bedingt durch einen einjährigen Auslandaufenthalt in Venezuela, das Studium in Bern, weitere Reisen und Hobbys wie das Gleitschirmfliegen. Erst 2014 begann sie wieder im Training zu reiten und seit 2015 steigt sie regelmässig in den Rennsattel. Im Moment ist Naomi Heller vor allem als Schweizer Vertreterin der Damen-Fegentri-Weltmeisterschaft in aller Munde. Ich habe Naomi deshalb gebeten, die Leser von galoppszene.ch ein bisschen hinter die Kulissen der Fegentri-Rennen und der dazu gehörenden Reisen blicken zu lassen.

Nachgefragt bei Naomi Heller

Liebe Naomi, danke für deine Bereitschaft zu diesem Interview. Du bist dieses Jahr die Schweizer Vertreterin der Damen-Fegentri-WM. Wie ist es dazu gekommen? Wird man da angefragt oder stellt man sich zur Verfügung?

Naomi Heller: Normalerweise vertritt die letztjährige Amateur-Championesse die Schweiz. Das heisst die Amateurrennreiterin, welche im vorhergehenden Jahr am meisten Siege errungen hat. Mir gelang das 2017. Da die Reiserei einen sehr flexiblen Arbeitsgeber voraussetzt und Sprachkenntnisse in Englisch erforderlich sind, passiert es auch, dass die zweit- oder drittplatzierte Reiterin sich zur Verfügung stellt. Ich habe grosses Glück mit meiner Arbeitgeberin – der Kreisschule Mittleres Wynental, die mein Gesuch für unbezahlte Arbeitstage bewilligt hat und bei der WM sogar mit mir mitfiebert.

Wie sehen die Fegentri-Engagements aus? Wird alles von der Fegentri organisiert und bezahlt oder musst du auch selber organisieren und Kosten tragen?

Der provisorische Datenkalender steht im Grossen und Ganzen Anfang Jahr fest. Jeweils zwei bis vier Wochen vor dem nächsten Fegentri-Lauf verschickt die Generalsekretärin Agnès Sibers die Einladungen an die Reiterinnen, welche vom Amateurverband des jeweiligen Landes nominiert worden sind. Das ist eine vielschichtige und eher undurchschaubare Angelegenheit. Man versucht zwar, dass die Vertreterinnen jedes Landes gleich häufig eingeladen werden, in der Praxis ist es aber kaum durchsetzbar. Ein Beispiel: In einigen Ländern schliessen die Gewichtsvorgaben einige Reiterinnen aus – in Tschechien musste man zum Beispiel 56 kg reiten können. Auch in Frankreich sind die Gewichte mit  57.5 kg als Richtmass eher tief. Wir haben einige Reiterinnen dabei, die nur ein Mindestgewicht von 60 kg oder mehr reiten können. Die werden dann in diesen Ländern ausgeschlossen. Wenn ich eine Einladung erhalte, buche ich die Reise nach den Vorgaben der Gastländer selber. Die Vorgaben sind zum Beispiel max. ein bis zwei Nächte, bestimmte An- und Abreisezeiten usw. Die jeweiligen Gastländer kommen für Kost und Logis auf, der Schweizerische Rennreiterverband übernimmt die Hälfte der Reisespesen. Eine Ausnahme stellen die arabischen Länder Qatar und Oman dar. Sie organisieren und bezahlen sowohl die Reise als auch den Aufenthalt.

Die überglückliche Naomi nach ihrem Fegentri-Sieg mit Cadmium in Mannheim. – Foto: Darren Thrussell

Wie kommt es, dass in den zur Fegentri-Wertung zählenden Rennen auch immer wieder Reiterinnen am Start sind, die nicht an der WM teilnehmen?

Meistens sind einige Vertreterinnen verhindert, weshalb die Rennen häufig für andere Reiterinnen offen sind. Denn kein Veranstalter möchte ein Rennen mit nur sechs Startern, wenn zwölf möglich wären. Grundbedingung für diese Reiterinnen ist, dass sie mindestens fünf Siege haben. Deutschland und Norwegen haben eine sehr gute Regelung zu Gunsten der Fegentri-Reiterinnen eingeführt: Sollte das Pferd einer Fegentri-Teilnehmerin als Nichtstarter deklariert werden, darf diese ein Pferd reiten, welches mit einer «heimischen» Amateurreiterin an den Start gehen sollte. Dadurch wird verhindert, dass die Vertreterinnen der anderen Länder vergebens anreisen. Ich finde dieses System sehr gut.

Pferdeauswahl sorgt für heisse Köpfe

Wie werden die Pferde für die Fegentri-Läufe zugeteilt? Werden die zugelost oder wie kann über die ganzen Wertungsläufe hinweg eine gewisse Chancengleichheit garantiert werden?

Das ist wohl der Punkt, der bei allen Beteiligten am meisten für heisse Köpfe sorgt. Eine Auslosung gibt es selten. Ein häufiger Knackpunkt bei den Damen wie bei den Herren ist, dass nicht alle ReiterInnen die vorhandenen Gewichte reiten können. Häufig werden die eingeladenen Reiter mit Anzahl Siegen und Gewicht bekanntgegeben und die Trainer, welche Pferde nennen, suchen sich ihre Reiterin oder ihren Reiter aus. Wer zuerst kommt, hat die beste Auswahl. Es wird gemunkelt, es komme auch vor, dass ReiterInnen die entsprechenden Trainer betreffend Ritte anrufen und sich so gute Pferde sichern. Das ist eine Grauzone. Was ich verständlich finde, dass die Länder ihre eigenen VertreterInnen unterstützen möchten und ihnen die guten Ritte zuteilen. Schlussendlich muss aber jedes Rennen zuerst gelaufen und gewonnen werden, bevor man es beurteilen kann. Ich hatte auch schon mit auf dem Papier chancenlosen Pferden gute Platzierungen.

Die Reisen in die verschiedenen Länder wirken für Aussenstehende wie eine lange Abenteuertour mit unzähligen Erlebnissen. Du bist aber 85 Prozent  als Oberstufenlehrerin tätig und reist somit meistens nur für ein oder zwei Tage in die verschiedenen Länder. Bleibt da Zeit etwas vom Land zu sehen und zu geniessen oder siehst du nicht mehr als den Bahnhof oder den Flughafen, das Hotel und die Rennbahn?

Teil und Versprechen meines Urlaubsgesuchs an meine Arbeitgeberin war, dass ich die Abwesenheiten für die Fegentri-Tour auf ein Minimum beschränke. Deshalb liegt es halt nicht immer drin, noch einen Tag anzuhängen. Die Fegentri-Rennen finden aber zum Glück häufig am Wochenende statt. Man kann erstaunlich viel in kurzer Zeit sehen und das Klima bzw. die Kultur von einem Land aufnehmen. Diese Kurztrips sind aber sehr intensiv und manchmal bin ich nach einem Wochenende müder als nach einer ganzen normalen Arbeitswoche.

Du liegst aktuell an zweiter Stelle der Gesamtwertung. Was bedeutet das für dich bzw. bringt es für die Karriere etwas, wenn man am Schluss unter den ersten Drei ist oder sogar Weltmeisterin wird?

Man bekommt als Amateurreiterin durch die Fegentri-WM mehr Aufmerksamkeit. Aber langfristig wird das den Karriereverlauf wohl nicht gross beeinflussen. Der Rennsport ist sehr schnelllebig. Mir persönlich haben aber die Fegentri-Einsätze viel Sicherheit und mehr Gefühl für die Rennen gegeben. Ich bin ruhiger geworden, kann die Pferde besser einschätzen und mit unterschiedlichen Rennsituationen besser umgehen. Ich profitiere also schon sehr davon.

Im November finden noch ein paar wenige Rennen in Avenches statt. Ob da Naomi Heller allenfalls noch Chancen auf einen Sieg oder eine Platzierung bekommt? Vielleicht mit dem hübschen Pablo vom Stall Husmatt? – Foto: turffotos.ch

Zukunftspläne

Hast du bis zum Ende dieser Saison neben der Fegentri-WM noch spezielle Ziele zum Beispiel in Bezug auf die Saison in der Schweiz?

Der Sieg in der WM liegt durch die Disqualifikation in Tschechien – mein Pferd wurde positiv auf Doping getestet – definitiv ausser Reichweite. Ich möchte möglichst unter den ersten drei bleiben und mir bestenfalls den zweiten Platz sichern. In der Schweiz wäre ein toller Saisonabschluss mit der einen oder anderen Platzierung oder gar mit einem weiteren Sieg schön.

Hast du bereits Pläne für nächstes Jahr? Wirst du wieder Fegentri-Rennen reiten? Oder allenfalls langfristige Träume im Bezug auf den Galoppsport oder auch auf dein sonstiges Leben?

Ich habe aufgehört langfristig zu planen oder zu träumen, es kommt sowieso anders als man denkt. Ich lebeim Hier und Jetzt. Vielleicht habe ich diese Einstellung ein bisschen von der venezolanischen Kultur mitnehmen können, als ich dort ein Auslandjahr verbrachte. Es wäre natürlich sehr schön, wenn ich die Schweiz nochmals im Rahmen der Fegentri-Rennen vertreten dürfte. Nächstes Jahr oder später sei dahingestellt. Mein Hauptziel ist es, die Freude am Sport zu behalten und weiterhin möglichst viele schöne Momente zu erleben.

Danke vielmals, Naomi, für diesen tiefen Einblick ins Abenteuer Fegentri-WM.

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