Abwieger gehen den Jockeys an die Kilos

Wer sich für Pferderennen interessiert, weiss natürlich, dass die Pferde in den Rennen unterschiedliche Gewichte tragen müssen. Die Dreijährigen im Derby zum Beispiel tragen 58 kg (Hengste) und 56.5 kg (Stuten). In Handicaprennen schätzt der Handicapper die Pferde bzw. ihre letzten Leistungen ein und bestimmt somit das Gewicht, das sie tragen müssen. Und in wieder anders ausgeschriebenen Rennen wird das Gewicht anhand der Gewinnsumme berechnet.

Vor jedem Rennen muss also sichergestellt werden, dass jeder Reiter mit Sattel, Bekleidung und Zubehör genau so viel wiegt, wie das Pferd das er reitet tragen muss. Ist er zu leicht, wird das fehlende Gewicht mit einem schwereren Sattel und Bleiplatten ausgeglichen. Diesen ganzen Ablauf in der Waage organisieren, überwachen und protokollieren die Abwiegerinnen und Abwieger. So weit so gut. Doch was macht eine Abwiegerin eigentlich im Detail? Was gehört alles zu ihrem Job und wie kommt man überhaupt zu so einem (ge)wichtigen Ämtli? Durch diesen Artikel sollen vor allem Rennbahnbesucher die nicht die Möglichkeit haben, hinter die Kulissen zu schauen, einen Einblick in einen typischen Rennbahnjob bekommen.

Heidi Kolb bei ihrer Arbeit in der Waage – dazu gehört auch Schreibarbeit wie das Erstellen der Auswiegeprotokolle jedes Rennens.

Heidi Kolb bei ihrer Arbeit in der Waage – dazu gehört auch Schreibarbeit wie das Erstellen der Auswiegeprotokolle jedes Rennens.

Heidi Kolb, die jedes Jahr als Abwiegerin auf ihrer «Heimbahn» Fehraltorf amtet, aber auch öfters in Aarau, Dielsdorf, Frauenfeld und Maienfeld im Einsatz ist, hat mich bei diesem Artikel unterstützt, mir alle Fragen beantwortet und mir auch ermöglicht, ihr bei der Arbeit in der Waage über die Schulter zu schauen und ein paar Fotos zu machen.

Eigentlich Freiwilligenarbeit, aber bezahlte

Die Einsätze der Waagechefs werden vom Rennleitungs-Präsident koordiniert und überwacht. Sie werden von den AbwiegerInnen freiwillig geleistet, allerdings nicht in Fronarbeit – es sind bezahlte Nebenjobs. Denn die Arbeit ist nicht anspruchslos. Gemäss Heidi Kolb müssen neue AnwärterInnen nämlich eine Art Ausbildung mit einem erfahrenen Waagechef durchlaufen. Das heisst, dass die oder der AnwärterIn an einigen Renntagen mit einem Waagechef «mitläuft», sich die ganzen Abläufe ansieht, erklären lässt und schliesslich mit Anleitung und unter Beobachtung selber ausführt. Gibt der erfahrene Waagechef und die Rennleitung grünes Licht, darf der Neuling danach selbständig und in Eigenverantwortung als Abwieger amten.

 Es ist aber nicht so, dass jeder Veranstalter seine oder seinen fixen Waagechef hat. Zwar ist Heidi Kolb auf ihrer Heimbahn Fehraltorf immer Waagechefin, wenn dies nicht gerade höhere Mächte verhindern, sie ist aber auch immer wieder auf anderen Bahnen im Einsatz. Denn Anfang Jahr verschickt der Rennleitungs-Präsident an seine Abwieger eine Liste, mit den Daten der Galopprennen und Heidi, wie auch alle anderen tragen dort ein, an welchen Terminen sie einen Einsatz leisten könnten. Danach erfolgt die definitive Einteilung durch den Rennleitungs-Präsidenten. Allerdings passiert es natürlich auch, dass eine oder ein AbwiegerIn wegen Krankheit oder anderen Gründen ausfällt. Gemäss Heidi Kolb organisieren sich die Abwieger dann meistens selber eine Vertretung die kurzfristig einspringen kann oder es wird schnellstens der Rennleitungs-Präsident orientiert.

Enge Zusammenarbeit mit der Rennleitung

Wie Heidi mir erklärt, beinhaltet der Ablauf eines Renntages die verschiedensten Aufgaben. Sie nimmt an der Rennleitungssitzung die letzten Infos was für Änderungen es gibt entgegen, danach beginnt die eigentliche Arbeit in der Waage. Als erstes muss sie überprüfen, ob alle Utensilien wie Startnummern, Bleiplatten usw. welche der Veranstalter bereitstellen muss, auch wirklich vorhanden sind. Weiter muss sie kontrollieren ob die Waage stimmt, also geeicht ist. Die Waagen müssen regelmässig vom kantonalen Eichamt geeicht werden. Trotzdem kann es in Einzelfällen passieren, dass eine Waage zum Beispiel durch Verschieben oder Kabelschäden fehlerhaft arbeitet. Beim eigentlichen Auswiegen muss auch kontrolliert werden, dass die Jockeys die vorgeschriebenen Sturzwesten tragen. Der Helm kommt dann nochmals zusätzlich dazu, muss also nicht mitausgewogen werden.

Die AbwiegerInnen arbeiten eng mit der Rennleitung zusammen, denn das Aus- und Zurückwiegen eines jeden Reiters in jedem Rennen wird akribisch protokolliert. Ergeben sich Änderungen, weil ein Jockey das angegebene Gewicht nicht reiten kann und das Pferd dadurch zum Beispiel ein halbes Kilo mehr trägt, muss dies vor dem Rennen der Rennleitung mitgeteilt werden, denn auch die Wetter werden vom Rennbahnspeaker darüber informiert, damit sie alle Gegebenheiten in ihre Wettentscheide miteinbeziehen können. Wie Heidi erzählt, kann es schon passieren, dass eine oder ein ReiterIn ausgewechselt werden muss. Dies geschieht dann, wenn jemand sein Gewicht nicht einhalten kann und nicht mehr Kilos aufnehmen kann/darf. Dies wird in solchen seltenen Fällen immer mit der Rennleitung besprochen und von dieser bestätigt.

Gemäss Abwiegerin Heidi Kolb ist der Umgang mit den Jockeys immer angenehm, egal ob einheimische Reiterinnen und Reiter oder Jockeystars aus dem Ausland.

Gemäss Heidi Kolb ist der Umgang mit den Jockeys immer angenehm, egal ob es sich um einheimische Reiterinnen und Reiter handelt oder um Jockeystars aus dem Ausland.

Der Umgang mit den Jockeys ist freundschaftlich, Stargehabe gibt es nicht

Dass die AbwiegerInnen mit den einheimischen RennreiterInnen ein freundschaftliches Verhältnis pflegen ist gegeben, denn man trifft sich immer wieder und kennt sich persönlich. Jedoch weiss man von Grössen aus anderen Sportarten, dass diese ein gewisses Rockstarimage pflegen, spezielle Wünsche und Vorgaben an den Veranstalter stellen und sich von den weniger berühmten Kollegen eher distanzieren. Mich hat daher interessiert, wie der Umgang mit den Jockeys aus dem Ausland ist und ob Spitzenjockeys wie Frankie Dettori, Christoph Lemaire oder andere, eine Spezialbehandlung wünschen oder sich distanziert geben. Heidi verneint dies. Offenbar sind die Spitzenjockeys eine sehr sympathische Spezies die sich nicht von den Amateuren abhebt, keine Sonderwünsche hat, eine gewisse Bescheidenheit an den Tag legt und die Gegebenheiten in der Garderobe und der Waage einfach nimmt, wie sie sind. Gemäss Heidi ist der Umgang mit diesen Stars genauso angenehm wie mit den Schweizer Reitern. Wobei sie zugibt, dass sie schon ab und zu leer schluckt, wenn eine dieser Grössen – die sie vorher noch nicht persönlich gekannt hat – plötzlich leibhaftig vor ihr steht und ein freundliches «Grüezi. Wie geht’s?» in die Runde wirft.

Raucher fliegen

Heidi Kolb ist als Waagechefin aber nicht immer nur die freundliche Helferin die ihren Job ruhig macht und mit jedem ein Schwätzchen hält. Beim Rauchverbot das in der Garderobe und in der Waage gilt, gibt es bei ihr kein Pardon. Erwischt sie eine Reiterin oder einen Reiter beim Rauchen, wird sie – nach eigener Aussage – zum Teufel. Sie sagt wortwörtlich: «Wer raucht, der fliegt.» Waagechefs sind also durchaus auch Respektspersonen.

Von den Rennen selber bekommen die AbwiegerInnen ausser am Fernseher in der Garderobe nicht viel mit. Zwar ist es gemäss Heidi Kolb möglich, zwischendurch mal ein Galopprennen live an den Rails oder auf der Tribüne zu schauen oder sich etwas zu Essen zu besorgen – zum Beispiel wenn das nächste Rennen ein Trabfahren ist – doch im Allgemeinen bekommt man vom Glanz und Gloria der Rennen wenig mit, wenn man als Waagechef im Einsatz steht. Trotzdem merkt man im Gespräch, dass Heidi mit Herz und Seele als Waagechefin amtet und sicher noch viele Jahre im Einsatz steht und wertvolle Dienste leistet.

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